Na, Mädels, wer will? Der STERN sucht Chefinnen…

In einem Interview mit Pro-Quote jammert der Chefredakteur vom STERN, Christian Krug, allen Ernstes darüber, dass Frauen keine Lust hätten, Ressortleiterinnen zu werden. Ja, selbst die Männer drückten sich inzwischen vor leitenden Positionen. Was, um Himmels Willen, läuft da schief?

Im Folgenden habe ich mir der Einfachheit halber erlaubt, das von Birte Siedenburg und Helene Endres geführte Pro-Quote-Interview zu kopieren und meinen SENF an den entsprechenden Stellen im Text dazu zu geben.

ProQuote: Herr Krug, Ihre Vorgänger Andreas Petzold und Thomas Osterkorn versprachen 50 Prozent Frauen in Führung. Gilt das für Sie nicht mehr?

Christian Krug: Erstens liegt unser Fokus nicht darauf, Frauen auf Führungsposten zu verhindern. Wenn jemand auf eine Stelle passt, und es ist eine Frau, freut uns das. Und zweitens: Beim stern streben längst nicht alle Mitarbeiter Positionen als Ressortleiter an.

ProQuote: Ach, nein?

Christian Krug: Wenn ich Absolventen der Nannen-Schule frage: „Wo willst Du in fünf Jahren sein?“, dann sagt keiner: „In der Ressortleitung.“ Die antworten: „In Paris, in London, ich will schreiben.“ Statt nach hierarchischer Position streben die nach beruflichem Ausleben.

SENF Die Antworten der Absolventen sind wenig überraschend. Welcher Journalistenschüler, welche Journalistenschülerin will nicht erst einmal da draußen arbeiten und Erfahrungen sammeln, bevor er/sie sich anmaßt, anderer Leute Texte zu redigieren und gleich ein ganzes Ressort zu leiten? Die wenigsten werden Journalist, um Chef zu sein. Und selbst wenn es in manchen Fällen doch so sein sollte, werden karrierewillige Anfänger wohl kaum dem Stern-Chef ganz unverhohlen zu verstehen geben, dass sie sich schon bald auf einer Führungsposition sehen. Wie vermessen wäre das? Es würde womöglich noch den unangenehmen Eindruck erwecken, man wolle ihn vom Thron kicken. Entwicklen sich persönliche Aufstiegsambitionen nicht erst nach einigen Jahren Berufserfahrung? Und: Ist eine Führungsposition etwa kein berufliches Ausleben? Und ob! Nur kristallisiert sie sich als persönliches Ziel in der Regel erst später, sozusagen als „next step“, heraus. Was es sicher nicht ist: ein schweres Los, an dem man ganz unfreiwillig zu tragen hat… Im Übrigen kann ich mir vorstellen, dass (junge) Mütter und Väter manchmal SEHR WOHL lieber Ressortleitungen übernehmen würden anstatt als Autoren immer wieder aufs Neue auf mehrtägige Recherche-Reisen ins Ausland geschickt zu werden. Denn letztere sind familientechnisch oft schwieriger zu organisieren als ein Job vor Ort, bei dem man ab und an auch mal später von der Arbeit kommt…

„Eine Führungsposition muss zum Privatleben passen. Letzteres leidet darunter.“

ProQuote: Macht ist out?

Christian Krug: Bei uns stehen die Kollegen Schlange für Autoren-Posten, das ist für viele das Beste, was du hier haben kannst: Nur der Chefredaktion verantwortlich suchst du im Prinzip aus, was du machen willst. Eine Führungsposition hingegen muss zum Privatleben passen. Letzteres leidet darunter.

SENF Die traurige Botschaft ist hier: Du wirst Chef, und zack, geht dein Privatleben den Bach hinunter. Als sei dies eine unumstößliche Wahrheit. Chefsein hieße demnach also zuallererst: auf privater Ebene Opfer bringen. Der Psychoknacks ist vorprogrammiert… Tja, und wenn der Chef selbst solche Signale versendet, muss er sich eigentlich ja nicht wundern, wenn seine Kolleginnen und Kollegen vor Führungspositionen zurück schrecken. Ich frage mich auch, wie ein „passendes“ Privatleben auszusehen hat. Und: ist dann ein „unpassendes“ Privatleben von vornherein Ausschlusskriterium, sodass bestimmte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Besetzung von Führungspositionen gar nicht erst zur Diskussion stehen? Ein moderner Betrieb müsste doch eigentlich folgendermaßen denken: Allen voran sollte es um die tatsächliche Qualifizierung einer Person gehen. Egal ob Mann oder Frau – hat die in Frage kommende Person genügend Berufserfahrung, um eine Ressortleitung zu übernehmen, kann sie das letzte Gute aus jedem Text heraus holen? Hat sie Sprachgefühl, Organisationstalent, einen Blick für die richtigen Themen? Wenn dies alles auf jemanden zutrifft, dann müssen eben Bedingungen geschaffen werden, unter denen dieser Jemand auch arbeiten kann, ohne sein bisheriges Privatleben komplett über den Haufen werfen zu müssen. Dass es zu wenig fähige und für einen Aufstieg auch offene Frauen unter all den gestandenen Redakteurinnen beim Stern gibt – also BITTE, das kauf ich keinem ab.

ProQuote: Und das ist hier ein rein weibliches Phänomen?

Christian Krug: Das ist ein Generationen-Ding: Junge Väter denken auch so. Heute ist Freizeit ein sozialer Status. Ich habe viele Kollegen, die lieber die Arbeitszeit reduzieren, als eine Beförderung anzustreben – das gilt für Männer wie Frauen. Bei älteren Kollegen sind die Familienstrukturen noch andere.

SENF Ja, aber warum versucht man dann nicht endlich einmal, die verkrusteten Arbeitsverhältnisse aufzubrechen und ein wenig mehr auf die Wünsche in der Redaktion einzugehen, ja, ganz generell, neu zu besetzende Führungsposten zu überdenken und ein wenig attraktiver zu machen? Der Machtfaktor allein scheint zumindest kein ziehendes Argument mehr zu sein. Was wäre so verwerflich daran, Doppelspitzen für Ressortleitungen einzuführen? Wenn doch mehr Freizeit das neue Statussymbol ist, dann wäre die Aussicht auf eine Teilzeitstelle ja vielleicht eine Lösung, über die man mal nachdenken könnte. Außerdem erscheint einem das Thema „Präsenz“ am Arbeitsplatz generell immer noch überbewertet. Wir leben, soweit ich weiß, seit längerem in einem Zeitalter, in dem Blaupausen nicht mehr ausgedruckt auf dem Schreibtisch vorliegen müssen, sondern problemlos in digitaler Form nach Hause geschickt und in Sekundenschnelle wieder zurück gesendet werden können. Auch wird Konferenzen mit physischer Anwesenheitspflicht immer noch zu große Bedeutung beigemessen. Dennoch ist man immer wieder erstaunt, wie rückständig einige Redaktionen in dieser Hinsicht sind, ja, dass Präsenz im Büro immer noch mit besonders hoher Produktivität und Effizienz gleich gesetzt werden, ist verwunderlich. 

„Ich habe viele Kollegen, die lieber die Arbeitszeit reduzieren, als eine Beförderung anzustreben – das gilt für Männer wie Frauen.“

ProQuote: Beim stern sind lediglich 26 Prozent der journalistischen Führungskräfte weiblich. 

Christian Krug: Nach unserer Zählung sind es deutlich mehr. 

ProQuote: Wir zählen nur diejenigen, die journalistisch entscheiden – und ein Chefredakteur wiegt bei uns schwerer als ein stellvertretender Ressortleiter. Die erste Frau im stern-Impressum kommt erst auf Platz sechs, die Artdirektorin. Die Textverantwortlichen in der Chefredaktion sind alle männlich. Es gibt im ganzen Heft eine Ressortleiterin und eine stellvertretende Ressortleiterin.                          

Christian Krug: Das ist sehr altmodisch hierarchisch gedacht. Wir haben in der Redaktion viele prägende Kolleginnen. Die Qualität des stern wäre eine andere, hätten wir keine Frauen in entscheidenden Positionen. Reporterinnen und Redakteurinnen prägen doch den stern journalistisch. Ohne ihre Artikel wäre der stern noch immer eine rein männliche Zeitschrift und wir hätten viele Leser verloren. Der optische Sexismus war früher auch viel stärker.

SENF „Prägende Kollegin“ –  ist das ein Ritterschlag? Mhm, klingt eher nach Trostpflaster. Ein richtiger Jobtitel wie „Ressortleiterin“ oder „Chefredakteurin“ ist das jedenfalls nicht und er macht sich auch garantiert NICHT auf dem Gehaltszettel bemerkbar. Den Gemahlinnen und Kurtisanen der Könige im Mittelalter hat man im übrigen auch schon den totalen Einfluß nachgesagt… Und zum Thema „optischer Sexismus“ muss in Erinnerung gerufen werden, dass das Magazin einen Monat nach der Silvesternacht in Köln einen Titel zum Thema „Heilkraft der Natur“ heraus brachte, auf dem eine nackte Frau abgebildet war. Und mitten in der Debatte um Köln warf er dann noch gleich ein Cover mit halbnackter Frau zum Titelthema „endlich schlank“ hinterher…

„Es kann nicht meine Aufgabe sein, in Zeiten einer so großen medialen Umwälzung eine Quote im Kopf zu haben.“

ProQuote: Wenn Frauen so gut tun – also her mit einer Quote?

Christian Krug: Es kann nicht meine Aufgabe sein, in Zeiten einer so großen medialen Umwälzung eine Quote im Kopf zu haben. Entweder ist jemand geeignet und wir haben dieselben Vorstellungen, oder nicht. Wenn Frauen in Führungspositionen Erfolg haben, dann hilft das der Bewegung am meisten. Man darf nicht unterschätzen: Wenn eine Frau wie Angela Merkel zehn Jahre dieses Land führt, dann kann auch eine Frau Siemens oder Thyssen Krupp leiten.

SENF Natürlich ist es Aufgabe eines Chefredakteurs, die Quote im Kopf zu haben, erst Recht in Zeiten, in denen es der Printbranche immer schlechter geht! Die fachlichen Qualifikationen und Kompetenzen leitender Redakteurinnen und Redakteure  sind wichtiger denn je. Redaktionen können es sich nicht mehr leisten, an entscheidenden Stellen Leute sitzen zu haben, die zwar das „passende“ Privatleben, aber nicht die nötigen Fähigkeiten besitzen. Die Aufgabe eines Chefs ist es, umzudenken und die richtigen Arbeitsbedingungen zu schaffen, unter denen das volle Potenzial der Redaktion ausgeschöpft werden kann – was nur geht, wenn man die Frauen mit ins Boot holt.

ProQuote: Aber noch immer nicht den stern. Warum haben Sie denn keine Stellvertreterin ins Boot geholt?

Christian Krug: Es hat sich schlicht keine angeboten, aber das kann ja noch werden. Es gibt ausgezeichnete Frauen hier, die aber vielleicht  gar nicht so scharf auf die Karriere in der Matrix sind. Wir behindern Frauen nicht und kalte Füße habe ich schon gar nicht.

SENF Das Wort „vielleicht“ lässt vermuten, dass eben doch noch nicht alle in Frage kommenden Redakteurinnen konkret von ihm gefragt worden sind. Und welcher normal tickende Mensch drängelt sich schon gern auf, winkt mit dem Zaunpfahl und brüllt dabei: „Hallo hier! Achtung, Chef! Ich bin die neue Ressortleiterin! Nimm mich, ACH, BITTE, BITTE, nimm mich!“

ProQuote: Apropos kalte Füße: Was wird aus dem Pinguin?

Christian Krug: Dem bau ich ein Podest. Und werde ihm warme Füße machen, bis sie stern-rot sind.

So lasst uns nun alle Puschen stricken und an Herrn Krug schicken, damit das auch schön schnell geht!

NACHTRAG:

Mit der „Quote“ verhält es sich ähnlich wie mit der digitalen Transformation – wer beides ignoriert, hat in Zukunft doppelt verloren! 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert